AURO Youth

Wachstum & Fortschritt

Ein Aufruf an die jungen Menschen


Beiträge auf der Grundlage der Werke von

Sri Aurobindo und der Mutter


  1. Die Liebe zum Land
  2. Der notwendige Bewusstseinswandel
  3. Das Ideal einer geeinten Menschheit
  4. Die Welt ist eine Einheit
  5. Die Mutter über Indien

Kapitel 3


Das Ideal einer geeinten Menschheit


Ein Beitrag von Wilfried auf der Grundlage der Werke Sri Aurobindos und der Mutter


„Sri Aurobindo ist nicht auf die Erde gekommen, um eine Lehre oder ein Glaubensbekenntnis im Widerspruch zu früheren Glaubensbekenntnissen oder Lehren zu bringen, sondern um den Weg zur Überwindung der Vergangenheit aufzuzeigen und konkret den Weg in eine nahende und unabwendbare Zukunft zu eröffnen.“

– Die Mutter 

(CWM Vol. 13, p. 4)


„Es ist die Einheit aller in der Solidarität einer gemeinsamen Manifestation, die die Erschaffung der neuen und göttlichen Welt auf der Erde ermöglichen wird.“

– Sri Aurobindo 

(CWSA Vol. 32, p. 84)


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Die Menschheit ist eins in ihrer physischen, vitalen, emotionalen und mentalen Wesensart und war dies immer trotz aller Unterschiede in ihrer intellektuellen Entwicklung, die von der Primitivität des Buschmanns bis zu den reichen Kulturen Asiens und Europas reicht. Die Menschheit als Gesamtheit hat eine Bestimmung, die sie erstrebt und der sie sich immer mehr nähert in den Zeitaltern des Fortschritts wie des Rückschritts.


Heute dringt das Ideal einer geeinten Menschheit immer stärker in den Vordergrund unseres Bewusstseins und wird eine entscheidende Rolle unter den die Zukunft bestimmenden Kräften spielen. Denn die intellektuellen und die materiellen Umstände unseres Zeitalters haben diese Einung vorbereitet, zwingen sie uns geradezu auf. Hier sind es besonders die naturwissenschaftlichen Entdeckungen, die unsere Erde so klein gemacht haben, dass ihre gewaltigsten Reiche nur noch als Provinzen eines einzigen Landes erscheinen.


Aber die Gunst der materiellen Umstände könnte dem Ideal auch einen Fehlschlag bereiten. Wenn nämlich die materiellen Verhältnisse eine weitreichende Umwandlung begünstigen, aber Herz und Verstand der Menschheit, besonders das Herz, nicht wirklich darauf vorbereitet sind, kann man einen Misserfolg voraussagen. Es sei denn, die Menschen sind rechtzeitig weise und nehmen die innere Umwandlung zusammen mit der äußeren Umgestaltung auf sich. Der menschliche Intellekt ist jedoch gegenwärtig durch die Wissenschaft so stark mechanisiert worden, dass er die Umgestaltung in der Hauptsache mit mechanischen Mitteln durch soziale und politische Anpassungen durchzuführen versucht. Die Einheit der Menschheit kann aber nicht durch soziale und politische Maßnahmen so zustande gebracht werden, dass sie von Dauer ist und Segen bringt. Es wäre dazu eine ungeheure Organisation nötig, unter der das individuelle und das regionale Leben zermalmt, verkrüppelt und aller notwendigen Freiheit beraubt würden wie das einer Pflanze ohne Regen, Wind und Sonnenschein. Für die Menschheit würde das bedeuten, dass vielleicht nach einem ersten Aufflammen von begeisterter und froher Aktivität eine lange Periode bloßer Erhaltung, zunehmender Erstarrung und schließlich Verfalls käme.


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Heute liegt das erste dringende Bedürfnis des erwachten Menschen darin, mehr Einheit zu erreichen, aber auf lebendige Einung, nicht so sehr auf Vereinheitlichung in den äußeren Dingen der Zivilisation, in Kleidung, Gebräuchen, Lebensgewohnheiten, in Einzelheiten der politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Ordnung. Ihm hilft nicht Uniformität, jene Vereinigung, zu der das mechanische Zeitalter unserer Zivilisation immer noch hindrängt. Vielmehr sucht der erwachte Mensch, der seelische Mensch, überall nach freier Entfaltung mit beständigem freundschaftlichen Austausch, innigem Verstehen, Gefühl für die gemeinsame Humanität, für die hohen gemeinsamen Ideale und Wahrheiten, nach denen sie verlangt, und mit einer gewissen Vereinigung und gegenseitigen Übereinstimmung im Ringen um gemeinsamen menschlichen Fortschritt.


Nur eine innere Umwandlung kann dem Werk der Vereinigung eine gewisse Aussicht auf Dauer verleihen. Die Umwandlung ist zugleich das Wachsen der lebendigen Idee oder Religion der Humanität. Denn nur so kann es zur seelischen Umgestaltung von Leben, Fühlen und Weltanschauung kommen, gewöhnen sich Individuum und Gruppe daran, dass sie zuerst und zumeist in ihrem gemeinsamen Menschsein leben. Diesem ordnen sie ihren individuellen Egoismus und den Gruppenegoismus unter. Dabei verlieren sie nichts von ihrer Kraft als Individuum oder als Gruppe, auf ihre besondere Weise das göttliche Wesen im Menschen zu entfalten und zum Ausdruck zu bringen, das als das wahre Ziel des menschlichen Daseins aufleuchtet, wenn die Menschheit einst eine gesicherte materielle Existenz erlangt hat.


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Sri Aurobindo sagt ganz klar, dass die Natur zu immer größeren Zusammenschlüssen drängt, schließlich zur Vollendung des größten Zusammenschlusses: die Vereinigung aller Völker der Welt. Das ist die Zukunft der Menschheit. Konflikte und Erschütterungen, so ungeheuer sie auch sein mögen, können den Lauf der Dinge verzögern. Sie können auch die Formen stark abwandeln, die die Entwicklung zur Zeit anzunehmen verspricht. Aber es ist nicht wahrscheinlich, dass sie die Entwicklung völlig verhindern. Denn die einzige Alternative für das Schicksal der Menschheit wäre deren allgemeine Vernichtung.


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Es ist nicht unmöglich, dass der unentbehrliche innere Faktor – die Entdeckung der Gottheit in uns – für die äußere Einheit zunehmend im Wachstumsprozess selbst geschaffen wird. Doch müssen gewisse seelische Elemente in großem Maße bereits vorhanden sein. Um der Umwandlung der Menschheit die nötige Dauer zu verschaffen, braucht man eine Religion der Humanität oder ein gleichwertiges Empfinden. Dieses Empfinden müsste aber viel kraftvoller, ausgeprägter, selbstbewusster und in seinem Anspruch an das gesamte Wesen viel universaler sein als die Verehrung des Landes durch die Nationalisten. Das Wesen dieser Religion der Humanität ist darin ausgedrückt, dass der Mensch in Denken und Leben eine einzige Seele der Menschheit empfindet und anerkennt, von der der Einzelne und jedes Volk nur Inkarnationen und Seelenformen sind. Vom Menschen wird gefordert, dass er sich über das Prinzip des Egos hinaus erhebt, das durch die Absonderung und Trennung lebt. Trotzdem darf es nicht dazu kommen, dass die Individualität zerstört wird. Denn ohne sie muss der Mensch innerlich erlahmen. Grundlegendes Ordnungsprinzip des gemeinschaftlichen Lebens muss das freie Spiel der Kräfte sein: für die individuelle Variation, für den Austausch in der Verschiedenheit und für das Bedürfnis nach Abenteuer und Eroberung. Hierdurch lebt die Seele des Menschen und wächst sie zur wahren Größe heran. Der Mensch braucht ausreichende Mittel, um das daraus entspringende ganze komplexe Leben und Wachsen in geschmeidig anpassungsfähiger und fortschrittlicher Form der menschlichen Gesellschaft zum Ausdruck zu bringen.


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Eine spirituelle Religion der Humanität ist die Hoffnung für die Zukunft. Damit ist aber nicht das gemeint, was man gemeinhin eine universale Religion nennt, ein System, eine Sache des Bekenntnisses, des intellektuellen Fürwahrhaltens, des Dogmas und äußeren Kultus. Die Menschheit hat ihre Vereinigung auch durch dieses Mittel versucht. Es hat versagt und sein Misslingen verdient. Denn es kann kein universales religiöses System geben, das im mentalen Glaubensbekenntnis und in der vitalen Gestalt eins wäre. Ganz gewiss ist der innere spirituelle Geist ein einziger. Aber mehr als alles andere drängt das spirituelle Leben auf Freiheit und Variation zum Selbst-Ausdruck und bei den Mitteln zu seiner Entfaltung. Religion der Humanität bedeutet die immer umfassender werdende Verwirklichung dessen, dass es einen geheimen Geist, die eine Göttliche Wirklichkeit gibt, in der wir alle geeint sind, dass ihr jetziger höchster Vermittler auf Erden die Menschheit ist, dass die menschliche Art und das Einzelwesen die Mittel sind, durch die sie sich hier fortschreitend selbst offenbart. Das verlangt aber, dass immer stärker der Versuch unternommen wird, das eigene Leben aus diesem Wissen zu führen und ein Reich des Göttlichen Geistes auf der Erde zustande zu bringen. Durch sein Wachsen in unserem ­Inneren wird das Einssein mit den Mitmenschen zum leitenden Prinzip unseres Lebens, nicht nur Leitmotiv des Zusammenwirkens, sondern tiefere Bruderschaft, eines wirklich tief gegründeten Sinnes von Einigkeit, Gleichheit und gemeinsamem Leben. So muss es beim einzelnen Menschen zu der Einsicht in die Wahrheit kommen, dass sich sein eigenes Leben nur im Leben seiner Mitmenschen erfüllen kann. Gleichzeitig muss bei der Menschheit insgesamt die tiefe Überzeugung bestehen, dass ihre Vervollkommnung und ihr dauerndes Glück nur auf das freie und erfüllte Leben des Individuums gegründet ist.


Könnte sich in der Menschheit rasch eine solche Verwirklichung entfalten, könnten wir das Problem der Vereinigung auf tiefere und wahrhaftigere Weise von der inneren Wahrheit zu den äußeren Formen lösen. Bis es aber soweit ist, muss der Versuch, die Vereinigung durch mechanische Mittel zustande zu bringen, fortgesetzt werden. Die erhabenere Hoffnung der Menschheit liegt jedoch darin, dass die Zahl jener Menschen zunimmt, die diese Wahrheit verwirklichen und sich selbst entfalten wollen. Denn erst wenn die Mentalität des Menschen bereit ist, von ihrer Neigung loszukommen, weil sie vielleicht entdeckt, dass alle ihre mechanischen Lösungen nur vorübergehend und enttäuschend sind, kann die Wahrheit des Geistes eingreifen und die Menschheit zum Pfad ihres höchstmöglichen Glückes und ihrer Vollkommenheit führen.


Die innewohnende Gottheit, die über das Schicksal der Menschheit waltet, hat in der Vernunft und im Herzen des Menschen die Idee einer neuen Ordnung und die Hoffnung auf sie erstehen lassen, die die alte unbefriedigende ersetzen und an ihrer Stelle Verhältnisse schaffen wird, die schließlich begründete Aussicht auf dauerhaften Frieden und Wohlstand bieten. Dadurch würde erstmals jenes Ideal einer Einung der Menschen zur festen Tatsache, das – nur von wenigen gehegt – lange bloß ein edles Hirngespinst zu sein schien. So könnte ein festes Fundament von Frieden und Harmonie gelegt werden, das Raum genug bietet für die Verwirklichung der höchsten Träume des Menschen: Vervollkommnung der Menschheit, vollendete Gesellschaft und höher hinauf gerichtete Entfaltung der menschlichen Seele und menschlichen Natur. Es liegt an den Menschen unserer Tage, höchstens des morgigen Tages, hierauf Antwort zu geben.


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„Der Jugend gehört diese Zukunft. Es ist eine junge und neue Welt, die sich jetzt entwickelt, und es ist die Jugend, die sie schaffen muss. Aber es ist auch eine Welt der Wahrheit, des Mutes, der Gerechtigkeit, des edlen Strebens und der geradlinigen Erfüllung, die wir schaffen wollen. In der Zukunft dieser Bewegung ist kein Platz für den Feigling, für den Egoisten, für den Schwätzer, der zuerst vorprescht und dann seine Mitmenschen im Stich lässt. Eine tapfere, offene, aufrichtige, mutige und strebsame Jugend ist das einzige Fundament, auf dem die ... Zukunft aufgebaut werden kann.“

Sri Aurobindo

„Eine neue Welt, die auf Wahrheit gegründet ist und die alte Sklaverei der Falschheit zurückweist, will Geburt annehmen.


In allen Ländern gibt es Menschen, die das wissen, ja dies fühlen.

Ihnen rufen wir zu: „Wollt ihr mitarbeiten?“

Die Mutter

The Spirit shall look out through Matter’s gaze

And Matter shall reveal the Spirit’s face.


Sri Aurobindo
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