Wahrheit –
das Wort, was wir zu leben und zu verkünden haben
Nur wenn der Mensch nicht nur ein Mitgefühl für alle Menschen entwickelt hat, sondern ein beherrschendes Gefühl der Einheit und Gemeinsamkeit, nur wenn er sie nicht nur als Brüder, sondern als Teile seiner selbst wahrnimmt, nur wenn er gelernt hat, nicht in seinem getrennten persönlichen und gemeinschaftlichen Ich-Gefühl zu leben, sondern in einem größeren universellen Bewusstsein, kann das Phänomen des Krieges gänzlich aus seinem Leben verschwinden, ohne dass es noch die Möglichkeit einer Wiederkehr gibt.
Die Bedingungen der individuellen und gesellschaftlichen Vervollkommnung sind in der Tat dieselben: Freiheit und Einheit; die beiden Elemente ergänzen einander, und das eine auf Kosten des anderen zu verfolgen, ist ein eitler Irrglaube. Aber wirkliche Einheit kann die Menschheit erst erlangen, wenn der Einzelne, seine egoistische Natur überwindend, in Herz und Mental mit allen Menschen eins ist, und wirkliche Freiheit kann es erst dann geben, wenn er von seiner eigenen niederen Natur frei ist und die Wahrheit findet, die von den Rishis, Heiligen und Weisen Indiens seit Jahrtausenden gelehrt worden ist: Yoga.
Yoga ist keine moderne Erfindung, sondern ein uraltes und zeitloses Eigentum des Menschen. Hinweise über Yoga finden wir bereits 3000 v. Chr. im Veda. Der Veda ist das älteste erhalten gebliebene Dokument in der Bibliothek der Menschheit. Veda bedeutet Wissen. Es ist das Wissen von den ewigen Wahrheiten, die Gott den großen Rishis, den Sehern des vedischen Zeitalters geoffenbart hat. Diese Offenbarungen, die bereits vor 3000 v. Chr. mündlich von den Rishis an auserwählte Schüler weitergegeben wurden, sind von dem Weisen Vyasa in einer sehr alten Sprache niedergeschrieben worden – dem Sanskrit.
Das Wort Yoga ist solch ein Begriff aus dem Sanskrit und bedeutet anjochen, anschirren, zusammenbinden, verbinden. Das, was man miteinander verbindet, bildet eine Einheit. Und das, was miteinander in der Einheit ist, ist auch in Harmonie miteinander. Harmonie ist die Vereinigung von Entgegengesetztem zu einem Ganzen. Deshalb kann man sagen: YOGA ist der Zustand von EINHEIT und HARMONIE.
Wer oder was ist nun mit wem oder was im Zustand des Yoga, also in Harmonie und Einheit? Es ist das menschliche Bewusstsein, das mit dem höchsten Bewusstsein – dem Göttlichen – in Harmonie und Einheit ist.
Die vedischen Rishis haben eine Hierarchie von Bewusstseinsebenen entdeckt und erforscht, die in der Materie beginnt und wie eine Stufenleiter aufsteigt durch die Ebenen des Lebens, der Seele und des Denkens zu den Ebenen der höchsten spirituellen Existenz – auch das göttliche Bewusstsein genannt.
Die Reise des Menschen, sein Aufstieg hin zu dieser höchsten Wahrheit spiritueller Existenz, diese Bemühung, sich mit dem Göttlichen zu einen, wird Sadhana genannt. Im Veda findet sich ständig dieses Bild von der Reise, vom Vormarsch der Seele auf dem Pfad der Wahrheit. Indem sie auf jenem Pfad voranschreitet, steigt sie auch auf und entdeckt und betritt dabei Bewusstseinsebenen, die dem natürlichen Menschen unzugänglich sind. Neue Ausblicke der Kraft und des Lichtes öffnen sich ihrem inneren Streben. Sie erlangt durch heroische Anstrengung ihren höchsten spirituellen Besitz.
Das Leben des Menschen war den Sehern eine Mischung von Wahrheit und Falschheit, eine Bewegung von Gebundenheit zu unendlicher Freiheit, von Sterblichkeit zur Unsterblichkeit, von Dunkelheit zum Licht einer göttlichen Wahrheit, deren Wohnstätte oben im Unendlichen ist. Diese göttliche Wahrheit kann aber hier in der Seele und im Leben des Menschen errichtet werden.
Der zentrale Gedanke des Veda ist die Eroberung der Wahrheit aus der Dunkelheit der Unwissenheit, und mit der Eroberung der Wahrheit auch die der Unsterblichkeit. Es ist der Kampf zwischen den spirituellen Kräften von Licht und Dunkelheit, Wahrheit und Falschheit, Wissen und Unwissenheit, Tod und Unsterblichkeit in einer symbolischen Bildersprache. Auf diesen Grundvorstellungen errichteten die vedischen Weisen eine psychologische Disziplin, die zur höchsten Spiritualität führte und den Kern des späteren indischen Yoga enthielt.
Der Veda ist die Schöpfung eines Zeitalters, in dem das Denken durch andere Methoden als die unserer logischen Vernunft erfolgte. Die Rishis verließen sich damals auf innere Erfahrung und die Intuition, um das Wissen von der höchsten Wahrheit zu erlangen. Ihr Ziel war Erleuchtung, nicht logische Überzeugung, ihr Ideal der inspirierte Seher, nicht der präzise logische Denker. Der Rishi war nicht der Autor der Hymne, sondern der Seher einer ewigen Wahrheit. Die Sprache des Veda ist ein Rhythmus, der nicht vom Intellekt geschaffen ist, sondern gehört wird, ein göttliches Wort, das sich dem inneren Gehör des Menschen offenbarte, der sich zuvor auf den Empfang des höchsten Wissens vorbereitet hatte. Es war das Zeitalter der Intuition.
Die Dichter der vedischen Hymnen waren Seher und Hörer der Wahrheit, Rishis. Sie waren im Besitz einer hohen, mystischen und verborgenen Wahrheit und Träger einer Sprache, die für göttliche Erkenntnis akzeptabel ist. Es war eine Sprache voll mit geheimen Worten, deren Bedeutung nur den Sehern bekannt war. Denn sie waren der Auffassung, dass die spirituellen Wahrheiten für den gewöhnlichen Menschen ungeeignet, sogar gefährlich seien, dass diese die Weisheit in ihrer Substanz mindern, entstellen oder missbrauchen würden. Daher kleideten sie ihre Sprache in Worte und Bilder, die bewusst zweideutig gehalten wurden. Dem Auserwählten gaben sie einen spirituellen Sinn. Für sie waren es heilige Worte, wirkungsvolle Symbole einer spirituellen Erfahrung und psychologischen Disziplin der Selbsterkenntnis. Für die Masse waren es Formeln und Zeremonien eines äußeren Rituals, die für die damalige Religion geschaffen wurden. In diesem Zeitalter wurde durch die Vorväter der Menschheit eine große Zivilisation in Indien begründet.
Nach dieser Wahrheitssuche kam es zu einem fortschreitenden Verlust der Wahrheiten des Veda. Das Zeitalter der Intuition verlor sich in der Morgendämmerung des Zeitalters des Intellekts – dem vedantischen Zeitalter, das sich bemühte, von dem alten Wissen zu bewahren oder wiederzugewinnen, was noch zu erlangen war.
Für jene, die nach den Rishis kamen, war der Veda ein Buch des höchsten Wissens, eine Offenbarung, eine erhabene Äußerung ewiger Wahrheit, wie sie in der inneren Erfahrung inspirierter und halbgöttlicher Denker gesehen und gehört worden war. Die heiligen Verse galten als erfüllt von göttlicher Bedeutung und sie wurden von den Denkern der Upanishaden – den Weisen des vedantischen Zeitalters – als die profunden und prägnanten Keimworte der Wahrheit aufgenommen.
Die Brahmanas und die Upanishaden sind die Dokumente dieser Epoche indischer Spiritualität. Sie nahmen den heiligen Text und das heilige Ritual des Veda als Ausgangspunkt für eine Neuformulierung spirituellen Denkens und spiritueller Erfahrung.
Die Metaphorik der Upanishaden ist zum großen Teil nach jener des Veda entwickelt. Die Upanishaden wichen nicht in revolutionärer Weise von den vedischen Grundgedanken ab, sondern setzten es fort und stellten es bis zu einem gewissen Grad in einer erweiternden Umwandlung in dem Sinne dar, das all jenes nun offen zum Ausdruck gebracht wurde, was in der vedischen symbolischen Sprache als Mysterium und Geheimnis verborgen gehalten wurde. Es war die Blüte der Philosophie.
Die Upanishaden sind tiefgründige religiöse, heilige Schriften, eine Aufzeichnung der tiefsten spirituellen Erfahrungen und Dokumente offenbarender und intuitiver Philosophie eines unerschöpflichen Lichtes, einer unerschöpflichen Kraft und Weite und zugleich spirituelle Dichtung von einer absoluten Inspiration. Es handelt sich hier um den Ausdruck eines Zeitalters, in dem Philosophie, Religion und Dichtung eins werden, weil diese Religion weder in einem Kult endet, noch auf ein religiös-ethisches Streben begrenzt ist, sondern sich zur unendlichen Entdeckung Gottes, des Selbstes, unserer höchsten und gesamten Wirklichkeit von Geist und Sein erhebt und aus einer Ekstase in erleuchteter Erkenntnis und erfüllter Erfahrung spricht. Diese Philosophie ist keine abstrakte intellektuelle Spekulation über Wahrheit, kein Gebilde des logischen Verstandes, sondern Wahrheit, gesehen, gefühlt, gelebt, besessen vom innersten mentalen Geist und der innersten Seele. Diese Dichtung ist das Werk eines Zeitgeistes, das die Wunder und die Schönheit der seltensten spirituellen Selbstschau und die tiefste erleuchtete Wahrheit von Selbst, Gott und Universum ausdrückt. Hier erreicht das intuitive Mental und die persönliche psychologische Erfahrung der vedischen Seher einen höchsten Gipfel, auf dem der Geist – wie es in einem Ausspruch der Katha Upanishad heißt – seinen eigenen Körper enthüllt, das eigene Wort offenbart und die Schwingung von Rhythmen aufdeckt, die die Seele aufbaut und erfüllt auf den Höhen der Selbsterkenntnis ansiedelt.
Die Upanishaden sind nicht nur eine Offenbarung für den Intellekt allein, sondern auch für die Seele und das gesamte Wesen. Es sind nicht intellektuelle Gedanken und Aussprüche sondern spirituelles Hören.
Die Upanishaden wurden zur Quelle nicht nur von einigen der reichsten und tiefsten Religionen der Welt, sondern auch von einigen der subtilsten metaphysischen Weisheitslehren. Die Upanishaden waren eine Quelle, zu der man ständig zurückkehrte, um Licht zu finden, und die nie versagte, neue Erleuchtung zu verschaffen. Der Buddhismus mit all seinen Entwicklungen war nur eine Neuformulierung einer Seite ihrer Erfahrung, wenn auch von neuem Standpunkt und mit frischen Begriffen intellektueller Abgrenzung und Schlussfolgerung. Dergestalt verändert in der Form, aber kaum in der Substanz, trug er sie durch ganz Asien und westwärts nach Europa. Die Gedanken der Upanishaden finden sich wieder in den Lehren und Ideen von Pythagoras und Plato. Sie bilden die tiefsten Gedanken des Neu-Platonismus und der Gnostik mit deren beträchtlichen Auswirkungen auf das philosophische Denken des Westens. Der größte Teil der deutschen Metaphysik ist seiner Substanz nach kaum mehr als eine intellektuelle Entwicklung jener großen Wirklichkeiten, die in dieser alten Lehre mehr spirituell gesehen werden. Es gibt kaum einen zentralen philosophischen Gedanken, der nicht eine Autorität, einen Keim oder einen Hinweis in diesen alten Schriften fände. Und selbst bei den wichtigsten Verallgemeinerungen der Naturwissenschaft findet man ständig Formeln angewandt, die ihrer ursprünglichen, weitesten Bedeutung nach in der tieferen Wahrheit des Geistes bereits von den indischen Weisen des vedantischen Zeitalters entdeckt worden waren.
Die Upanishaden sind Vedanta, ein Buch der Erkenntnis, in einem höheren Grad als selbst die Veden, aber Erkenntnis in dem tieferen indischen Sinn des Wortes, Jnana. Jnana ist kein bloßes Denken und Abwägen der Vernunft, kein Erstreben und Erfassen einer mentalen Form der Wahrheit von Seiten des intellektuellen Mentals, sondern ein Schauen der Wahrheit mit der Seele und ein Leben ganz in ihr aus der Kraft des inneren Wesens, ein spirituelles Erfassen durch eine Art Identifikation mit dem Gegenstand der Erkenntnis.
Und weil diese Art unmittelbarer Erkenntnis nur durch ein integrales Erkennen des Selbstes vervollständigt werden kann, war es das Selbst, das die vedantischen Seher zu erkennen suchten, worin sie zu leben und mit dem sie durch Identität eins zu sein trachteten. Durch diese Bemühung gelangten sie leicht zu der Schau, dass das Selbst in uns eins mit dem universalen Selbst aller Dinge ist und dass dieses Selbst wiederum dasselbe wie Gott und Brahman ist, ein transzendentes Sein oder eine transzendente Existenz.
Und sie sahen, fühlten, lebten in der innersten Wahrheit aller Dinge des Universums und der innersten Wahrheit des inneren und äußeren Menschseins durch das Licht dieser einen und vereinigenden Vision. Die Upanishaden sind epische Hymnen der Selbsterkenntnis, Welterkenntnis und Gotterkenntnis.
Anschließend folgte eine Epoche von Philosophien und Yoga-Systemen, die das emotionale, ästhetische und willenhafte Wesen als Instrumente spiritueller Verwirklichung benutzten.
Der Bhakti-Yoga, der Pfad der Herzenshingabe, strebte danach, die höchste Liebe und Seligkeit zu erfahren. Er wählte die emotionale und ästhetische Macht der Seele und richtete sie auf das Göttliche.
Der Karma-Yoga, der Pfad des Wirkens, wählte als sein Instrument den Willen. Er machte das Leben zu einer Darbringung an das Göttliche.
Der Raja-Yoga, der Yoga der Selbstbeherrschung, benutzte das mentale Wesen als sein Instrument. Er konzentrierte sich auf den subtilen Körper und machte diesen zu seinem Feld der spirituellen Verwirklichung.
Diese Epoche wird repräsentiert von den beiden mächtigen Epen Mahabharata und Ramayana.
Ab dem 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung entstand der heute so populäre Hatha-Yoga – der Jüngste der alten großen Yogawege. Seine volle Blüte erreichte er um das 10. Jahrhundert.
Der Hatha-Yoga wählte den Körper und das Nervensystem, das Vital, zur Verwirklichung des göttlichen Bewusstseins. Er suchte danach, den grobstofflichen Körper zu spiritualisieren. Aber die wahre Methode, die zur Entdeckung des Geistes in der Materie führen soll, wurde bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gefunden.
Die Entwicklung des Yoga von der Zeit nach dem vedischen Zeitalter bis hin zur Blüte des Hatha-Yoga – 1000 v. Chr. bis 1000 n. Chr. – wirkte auf die Auflösung des alten vedischen Denkens und der alten vedischen Kultur hin. Die Ausgeglichenheit, die von den alten Mystikern zwischen dem äußeren und dem inneren, dem materiellen und dem spirituellen Leben gewahrt wurde, löste sich immer mehr auf. Das führte schließlich zu Asketentum, Entsagung und Weltflucht. Der Yoga zog sich in geheime Schulen und asketische Einsiedeleien zurück.
Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts leiteten dann große Yoga-Meister die moderne Renaissance des Yoga ein:
Sri Ramakrishna, ein bedeutender hinduistischer Mystiker, der mit den verschiedenen Religionen experimentierte. Vivekananda, der als erster Hindu vor dem Weltparlament der Religionen sprach und erstmals den Yoga einer breiten Öffentlichkeit bekannt machte. Yogananda, der den Yoga vor allem im Westen bekannt machte. Ramana Maharshi, ein indischer Heiliger und einer der berühmtesten Weisen des 20. Jahrhunderts. Sri Aurobindo, indischer Politiker und Revolutionär, Philosoph, Dichter, Mystiker und Yogi, Schöpfer des Integralen Yoga, der das Wissen des Westens mit den Weisheitslehren und spirituellen Traditionen Indiens vereint.
Heute sehen wir, wie der Yoga – das Kind unvordenklicher Zeiten – aus seinen geheimen Schulen und asketischen Einsiedeleien wieder auftaucht und sich seinen Platz in unserer modernen Gesellschaft sucht. Heute sehen wir, wie der Yoga – zu vedischen Zeiten nur einigen wenigen Auserwählten vorbehalten – nun allen Menschen zugänglich ist. Heute sehen wir aber auch, dass der Yoga sich selbst erst wiederentdecken muss, will er in das moderne Leben der Menschen eingehen. Gegenwärtig beschränkt er sich vor allem auf den körperlichen Aspekt und sucht nach vollkommener Gesundheit in diesem Bereich. Lediglich körperliche Gesundheit zu begründen ist nicht sein tiefster Wahrheitsgrund und seine unvergängliche Absicht. Harmonie zu begründen, ist sein Wesen, Einheit zu schaffen, ist seine Absicht: EINHEIT und HARMONIE von Mensch, Natur und Gott.
Alle Probleme des Daseins sind im wesentlichen Probleme der Harmonie und des Getrennt-seins. Probleme entstehen aus der Wahrnehmung einer unaufgelösten Disharmonie und dem unbewussten Verlangen nach einer unentdeckten Einheit. Genau diese Probleme löst der Yoga. Der Yoga verspricht dem Menschen, ihn nach innen bis in seine geheimsten Heiligtümer und empor bis in die höchsten Höhen seiner Existenz zu führen – in seine Seele und in seinen Geist – dort wo sich alle Daseinsprobleme im Bewusstsein der Einheit und Harmonie auflösen werden. Dort existiert kein Getrennt-sein und keine Disharmonie.
Doch dazu muss der Mensch das wahre Wesen und die eigentliche Absicht des Yoga wiederentdecken. Heute stehen wir auf der Stufe zum subjektiven Zeitalter, einer Epoche, in der die Entdeckung der inneren Reiche des Menschen vorherrschen wird. Diese Entdeckung und Beherrschung der inneren Reiche ist ein wesentlicher Schritt auf den Stufen der menschlichen Entwicklung. Die Rishis des vedischen Zeitalters legten den Grundstein dazu. Doch war dieses Wissen nur wenigen Auserwählten vorbehalten. Nun ist die Zeit gekommen, dass es der Menschheit als Ganzes möglich wird, auf dem Pfad des Yoga zu wandeln, der höchsten Wahrheit entgegen – dem Wahrheitsbewusstsein, wie es im Veda heißt, dem Supramental, wie es im Integralen Yoga Sri Aurobindos heißt.
Der Integrale Yoga ist zugleich ein Zurückhorchen und ein Vorwärtsspringen – ein Zurückhorchen zu den hohen Anfängen der spirituellen Geschichte der Menschheit und ein Vorwärtsschreiten in die künftige Spiritualität des Menschen. Wenn die eine Säule des Bogens menschlichen Schicksals im Veda steht dann steht die andere im Integralen Yoga. Denn das, was die vedischen Rishis sich vorgestellt und verkündet hatten, findet seine Vollendung und Erfüllung in Sri Aurobindo, dem letzten großen Rishi Indiens.
Der Veda ist nicht nur der Anfang unseres spirituellen Wissens, er bildet auch das Fundament der indischen Kultur. Spiritualität war stets das höchste Lebensziel dieser Kultur. Diese starke Bereitschaft des Geistes einer ganzen Nation, sich den höchsten Wirklichkeiten zuzuwenden, ist die Frucht einer jahrtausendealten aber immer noch lebendigen spirituellen Kultur. Betrachten wir die spirituelle und religiöse Evolution Indiens, können wir drei Phasen der Entwicklung erkennen.
Das erste Stadium bereitete den natürlichen äußeren Menschen auf Spiritualität vor. Diese Epoche wird repräsentiert von den beiden großen literarischen Schöpfungen: den Veden und Upanishaden.
Das zweite Stadium führte den Menschen zu einem tieferen mentalen und seelischen Leben und brachte ihn unmittelbar mit dem Göttlichen in ihm selbst in Kontakt. Diese Epoche wird repräsentiert von den beiden mächtigen Epen Mahabharata und Ramayana.
Seit langem befindet sich schon eine dritte Phase in Vorbereitung, die der Zukunft angehört. Sie wird den Menschen befähigen, seine äußere Existenz zu einem ersten Anfang eines spirituellen Lebens zu machen. Diese Bemühung hat sich in der wachsenden Hinwendung zu verschiedenen Yoga-Pfaden gezeigt. Dieses Stadium der spirituellen Evolution, das der Zukunft angehört, wird repräsentiert von Sri Aurobindos gewaltigen epischen Dichtung ´Savitri`. Dieses Epos aus jüngster Zeit weist auf Indiens Schicksal und das der Menschheit in der Zukunft hin. Es ist der Veda unseres Zeitalters – des Zeitalters der Wahrheit.
In einem Zeitalter, da Wissenschaft und Materialismus vom menschlichen Bewusstsein Besitz ergriffen hat, gibt uns Sri Aurobindo mit seinem spirituellen Epos Savitri einen alten Mythos zurück, überträgt ihn in zeitgerechte Formulierungen und reicht ihn weiter als Geschenk an die Menschheit der Zukunft. In ´Savitri` wird der vedische Mythos und die Erzählung aus dem Mahabharata in Form einer Prophezeiung und des Versprechens übertragen, die Erde werde sich selbst in göttlichem Leben erfüllen. ´Savitri` ist eine grandiose Vision von der Bestimmung des Menschen, seiner Reise in die Ewigkeit sowie die Entfaltung des geheimen Sinns der Schöpfung. Die Veden und das Epos ´Savitri` sind miteinander spirituell eng verwandt. ´Savitri` gleicht nicht nur in einigen Teilen dem Stil der vedischen Ausdrucksweise, die Vision ´Savitris` ist auch durchdrungen von jenem Licht der Inspiration und Enthüllung, von dem her die vedischen Seher ihre Hymnen empfingen. ´Savitri` besitzt die gewaltige spirituelle Unmittelbarkeit der Veden und Upanishaden.
Das Spiritualisieren des Lebens auf Erden ist die letzte Vision des jahrtausendealten Suchens und Experimentierens. Die spirituelle Evolution muss in dieser Richtung weitergehen. Sie muss die Erfüllung dessen anstreben, was die vedischen Seher vor Tausenden von Jahren als Lebensziel des Menschen ansahen, dass hinter dem emotionalen Teil der menschlichen Natur die innerste Seele des Menschen ist, in jenem verborgenen Herzen, in dem die Seher den Tempel der innewohnenden Gottheit sahen, und über seinem Mental ein erleuchtetes höchstes Mental ist, das unmittelbar der Wahrheit des Geistes geöffnet ist. Der Mensch muss sich diesen verborgenen Kräften öffnen und sie zum Zwecke einer Vergöttlichung des menschlichen Lebens und der menschlichen Natur zu ihrer Grundlage machen.
Eine Anstrengung dieser Art war exakt jene Kraft, die hinter den meisten erleuchteten späteren Bewegungen Indiens stand aber ihren Weg nicht finden konnte durch den Niedergang der indischen Kultur. Diese Kraft ist das Geheimnis der mächtigen Formen des Yoga, die nun wiederbelebt werden muss.
Das Spirituelle, das Unendliche ist nahe und real, und die Welten jenseits sind nicht so sehr jenseits, eher unserer eigenen Existenz immanent. Das, was dem westlichen Denken Mythos und Fantasie ist, ist in Indien tatsächliche Wirklichkeit, eine Lebensfaser seines inneren Wesens.
Was für das westliche Denken schöne dichterische Idee und philosophische Spekulation ist, ist in Indien etwas, das ständig verwirklicht wird und der Erfahrung gegenwärtig ist.
Und doch sehen wir heute, dass sich die Menschen aller Kulturen anschicken, zu ihren ursprünglichen Sehnsüchten zurückzukehren, gesättigt und doch nicht befriedigt von der erfolgreichen Analyse der äußeren Natur. Die älteste Formulierung der Weisheit verspricht auch ihre letzte zu sein:
Gott
Licht
Freiheit
Unsterblichkeit.
Wir können in einem tierhaften, vom Ego bestimmten Bewusstsein das göttliche Wesen erkennen, besitzen und sein.
Wir können Frieden und Seligkeit dort erbauen, wo es jetzt nur die Spannung vergänglicher Befriedigungen gibt, die stets bedrängt werden vom physischen Schmerz und Leiden des Gemüts.
Wir können die Fundamente zu einer unendlichen Freiheit in einer Welt legen, die sich uns als ein Komplex mechanischer Notwendigkeiten und als Zufall präsentiert.
Wir können unsterbliches Leben in einem Körper entdecken und verwirklichen, der dem Tod und ständiger Veränderung unterworfen ist.
*
Yoga ist die innere Zwiesprache mit Gott zum Zwecke der Erkenntnis, der Liebe oder des Werkes. Der Yogin nimmt direkte Beziehung mit dem auf, was allwissend und allmächtig ist im Menschen und außerhalb von ihm. Er befindet sich im Einklang mit dem Unendlichen, er wird zu einem Kanal für die Kraft Gottes, um seine Energien in die Welt strömen zu lassen, sei es durch stilles Wohlwollen oder aktive Wohltätigkeit. Wenn ein Mensch aufstrebt, indem er die Haut des Ego abwirft und für andere und in den Freuden und Sorgen anderer lebt; wenn er seine Werke perfekt und mit Liebe und Eifer tut, jedoch die ängstliche Erwartung von Resultaten von sich weist und weder am Sieg hängt noch Niederlage fürchtet; wenn er all seine Werke Gott widmet und jeden Gedanken, jedes Wort und jede Tat als Gabe auf den göttlichen Altar legt; wenn er sich freimacht von Furcht und Hass, Widerwillen und Ekel und Anhaftung an die Dinge; wenn er wie die Kräfte der Natur arbeitet, ohne Hast, ohne Unterlass, unweigerlich, vollkommen; wenn er den Gedanken überwindet, dass er der Körper oder das Herz oder das Mental sei oder die Summe dieser Dinge, und sein eigenes wahres Selbst findet; wenn er sich seiner Unsterblichkeit und der Unwirklichkeit des Todes bewusst wird; wenn Erkenntnis zu ihm kommt und er fühlt, wie er passiv ist und wie die göttliche Kraft ohne Widerstand durch sein Mental, seine Rede, seine Sinne und all seine Organe wirkt; wenn er so alles, was er ist, tut oder hat, dem Herrn aller Dinge, dem Freund und Helfer der Menschheit hingegeben hat und ständig in ihm wohnt und Kummer, Unruhe oder falsche Aufregung ihm nicht mehr möglich sind, so ist dies Yoga. Pranayama und Asana, Konzentration, Anbetung, Rituale, religiöse Praktiken sind nicht für sich selbst Yoga, sondern nur ein Mittel zum Yoga. Auch ist Yoga nicht ein schwieriger oder gefährlicher Pfad, er ist sicher und leicht für alle, die beim Inneren Führer und Lehrer Zuflucht suchen. Alle Menschen haben die potenzielle Möglichkeit dazu, denn es gibt niemanden, der nicht Kraft oder Glauben oder Liebe hat, welche in seiner Natur entwickelt sind oder in ihr latent liegen, und jede von diesen (Eigenschaften) reicht als Grundstütze für den Yogin. Gewiss können nicht alle in einem einzigen Leben das Höchste auf diesem Pfad erreichen, doch alle können voranschreiten; und in dem Maße, wie ein Mensch vorankommt, erlangt er Frieden, Kraft und Freude. Und selbst nur ein wenig von diesem Dharma erlöst den Menschen oder eine Nation von großer Furcht. Es ist ein Irrtum, so wiederholen wir noch einmal, zu glauben, dass Spiritualität etwas vom Leben Getrenntes sei. ‚Gib alles hin‘, sagt die Isha Upanishad, ‚auf das Du alles freudig erfahren mögest, und begehre nicht eines anderen Besitz. Doch tue wahrlich deine Werke in dieser Welt und strebe, hundert Jahre zu leben; kein anderer Weg als dieser ist dir gegeben, um der Bindung deiner Handlungen zu entgehen.‘ (Sri Aurobindo, Juni 1909, Karma Yogin)
Wir müssen zur Welt wieder das ewige Wort sprechen. Es ist nicht das Wort in unserem Kopf, es ist das Wort aus unserem Herzen. Wir haben auf Gottes Stimme in uns zu warten, um zu hören, was Er uns zu sagen hat, und zu lernen, was wir zu tun haben. Wir müssen nach innen gehen, um in innige Kommunion mit Ihm zu treten. Wir müssen danach trachten, Sein Werk zu tun, ganz und gar frei werden vom Widerwillen und Begehren, den Vorlieben und Abneigungen, das Werk für Ihn tun ohne einen Anspruch auf die Frucht des Wirkens, dem Eigenwillen entsagen, ein passives und vertrauensvolles Werkzeug in Seiner Hand werden, ein ausgeglichenes Herz besitzen gegenüber dem Hohen und dem Niederen, Freund und Feind, Erfolg und Niederlage und doch Sein Werk nicht nachlässig ausführen. Dann werden wir verstehen, was Yoga bedeutet. Wir sprechen oft von Yoga, aber nur wenige unter uns wissen, was Yoga wirklich ist. Yoga ist das Leben als solches. Yoga ist eine Sache, die man nicht so sehr üben als vielmehr leben muss. Alles Leben ist Yoga. Es ist das Mittel, das für die Rettung oder den Fortschritt der Menschheit seit alten Zeiten hochgehalten worden ist. Um Yoga der Menschheit weiterzugeben, muss man den Yoga leben.
Überall auf der Welt sehen wir, wie der Yoga alter Zeiten aus seinen geheimen Schulen auftaucht, und von der allgemeinen Menschheit angenommen wird – in welcher unvollkommenen Form auch immer.
Es ist der Yoga, den Gott nun vor der Welt emporhebt. Es ist der Yoga, den Er durch die Rishis, die Heiligen und die Avatare über die Jahrtausende hinweg vervollkommnet und entfaltet hat, und jetzt hervorkommt, um Gottes Werk unter den Nationen der Welt zu tun. Wir müssen zur inneren Gottheit aufwachen, uns mutig auf den Weg machen, diese Gottheit zu entdecken und mit ihr eins zu werden, um das Wort, die Kraft, das Licht, die Liebe, den Frieden dieser Gottheit in die Welt auszusenden. Die vor uns liegende Aufgabe ist nicht physischer, sondern spiritueller Art. Es geht nicht darum, eine neue Regierungsform anzustreben, sondern die Begründung eines Lebens, das von göttlicher Art ist: Eine neue Weltordnung auf der Grundlage von Spiritualität zu schaffen. Es gibt ein mächtiges Lebensgesetz, ein großes Prinzip menschlicher Evolution, eine Sammlung spiritueller Erkenntnis und Erfahrung, deren Hüter, Beispiel und Missionar Indien seiner Bestimmung nach stets war: Dies ist der Yoga. Wir müssen umkehren und die Quellen von Leben, Gesundheit, Kraft, Frieden, Harmonie und Freude in uns selbst entdecken. Wir müssen Yoga zum Ideal unseres Lebens machen. Durch Yoga werden nicht nur wir, sondern auch die Nationen der Welt die Kraft erlangen, ihre Freiheit, Einheit und Größe zu verwirklichen, durch den Yoga werden sie die Kraft bewahren, sie zu erhalten. Wir müssen eine spirituelle Revolution anstreben. Die Probleme, die die Menschheit plagen, können nur gelöst werden, indem das Königreich im Inneren erobert wird. Und diese Eroberung ist nur durch Yoga möglich.
Das ist die Botschaft des Yoga. Die Erhebung des Yoga vor der Welt, das ist die vor uns liegende Arbeit. Yoga gehört nicht Indien allein. Der Yoga ist nur aus dem Grund in Indien konzentriert, weil das indische Volk ihn bewahrt hat, weil er sich in der Abgeschlossenheit auf dieser Halbinsel zwischen Meer und Himalaya entwickelt hat, weil er in diesem heiligen und alten Land der Rishis als Vermächtnis übergeben wurde, damit es ihn durch die Epochen hindurch erhält. Der Yoga wird aber nicht durch die Grenzen eines einzelnen Landes umschrieben. Was wir Yoga nennen, ist in Wirklichkeit der ewige Veda, das ewige Wissen, das ewige Wort. Yoga triumphiert über den Materialismus, da er die Entdeckungen der Wissenschaft und die Spekulationen der Philosophie in sich einbezieht und vorwegnimmt. Yoga vermittelt der Menschheit die Nähe Gottes zu uns, und bezieht alle möglichen Mittel ein, durch die der Mensch sich Gott nahen kann. Yoga besteht in jedem Augenblick auf der von allen Religionen anerkannten Wahrheit, dass Gott in allen Menschen und in allen Dingen ist, und dass wir uns in Ihm bewegen und sind. Durch Yoga verstehen und glauben wir nicht nur diese Wahrheit, sondern können sie mit jedem Teil unseres Wesens verwirklichen. Yoga zeigt der Welt, was die Welt ist: die Offenbarung, das Werden, das Spiel Gottes. Yoga zeigt uns, wie wir unsere Rolle in diesem Spiel am besten spielen können, und enthüllt uns dessen subtilsten Gesetze und edelsten Regeln. Yoga trennt selbst im kleinsten Detail das Leben nicht von der Spiritualität. Yoga weiß, was Unsterblichkeit ist, und hat darum die Wirklichkeit des Todes völlig von uns weggenommen. Das ist das Wort, was wir zu leben und zu verkünden haben.
* * *
„Der Jugend gehört diese Zukunft. Es ist eine junge und neue Welt, die sich jetzt entwickelt, und es ist die Jugend, die sie schaffen muss. Aber es ist auch eine Welt der Wahrheit, des Mutes, der Gerechtigkeit, des edlen Strebens und der geradlinigen Erfüllung, die wir schaffen wollen. In der Zukunft dieser Bewegung ist kein Platz für den Feigling, für den Egoisten, für den Schwätzer, der zuerst vorprescht und dann seine Mitmenschen im Stich lässt. Eine tapfere, offene, aufrichtige, mutige und strebsame Jugend ist das einzige Fundament, auf dem die ... Zukunft aufgebaut werden kann.“
Sri Aurobindo
„Eine neue Welt, die auf Wahrheit gegründet ist und die alte Sklaverei der Falschheit zurückweist, will Geburt annehmen.
In allen Ländern gibt es Menschen, die das wissen, ja dies fühlen.
Ihnen rufen wir zu: „Wollt ihr mitarbeiten?“
Die Mutter
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